Bedeutende Turniere der Schachgeschichte – eine Chronik [2]

Das Gibraltar Chess Festival ist ein *****-Open, wo alljährlich die
weltbesten Schachspielerinnen ihr Schaulaufen haben

 

Unsere Chronik der bedeutenden Schachturniere hatten wir aus gegebenem Anlass mit einem Betrag zum 75-jährigen Jubiläum der nach Hastings wohl wichtigsten Turnierserie der Welt begonnen. Teil 2 dieser Serie widmen wir dem Gibraltar Chess Festival, das innerhalb nur eines Jahrzehnts sich den Ruf eines der besten Open in der Welt erworben hat. Und das nicht zuletzt wegen des jährlichen Schaulaufens der weiblichen Weltklasse. So waren im Vorjahr bei der 10. Auflage mit Judit Polgar, Weltmeisterin Hou Yifan und ihrer Herausforderin Humpy Koneru das absolute TOP-Trio im Frauenschach dabei. Es hätte wirklich nicht viel gefehlt und die 18-jährige Chinesin hätte das Masters gewonnen. Da sie aber nach zehn Runden punktgleich mit Nigel Short war, musste ein Schnellschachstichkampf entscheiden, den der Engländer nicht ganz Gentleman souverän für sich entschied.

 

Was die Geschichte des Gibraltar Open angeht, so beginnt sie am 28. Januar 2003. Damals hieß das Turnier Gibtelecom Chess Festival, was eindeutig auf den Sponsor hinweist, der mit seinen guten Namen wirbt, was über die Jahre mit einer großzügigen Spende von einige Hunderttausend englische Pfund verbunden war. Seit 2011 hat diese Rolle für die Veranstaltung auf der britischen Enklave Gibraltar die Firma Tradewise Insurance Service Ltd übernommen, die auf die Versicherung von Autohändlern und Nutzfahrzeugen spezialisiert ist. Die Übergabe der Verantwortlichkeiten von einem zum anderen Großunternehmen scheint problemlos gelaufen zu sein, denn für das diesjährigen Tradwise Gibraltar Chess Festivals steht insgesamt ein Preisfonds von 160.000 Pfund zur Verfügung. Nicht nur die Veranstalter von deutschen Open-Turnieren können von einer solchen finanziellen „Ausstattung“ nur träumen.

Turnierseite
Teilnehmer
Rückblick 2012
Rückblicke
2005 gab es fünf Sieger mit 7,5 aus 9: Kiril Georgiew, Sahar Jefimenko, Alexej Schirow und Emil Sutovskyund Lewon Aronian

Und es lohnt auch ein Blick beispielsweise auf die drei Hauptpreise. Dem Sieger des Masters winken stolze 20.000 Pfund, die Plätze 2 und 3 werden mit 12.000 und 10.000 Pfund belohnt. Und da ich eingangs auf das Schaulaufen der weiblichen Weltklasse hingewiesen hatte – es lohnt sich. Nicht nur, weil die Spitzenspielerinnen fürstliche Sonderkonditionen erhalten, also Kost und Logis umsonst, sondern weil der bestplatzierten Frau sage und schreibe 12.000 Pfund winken. So haben sich zur elften Auflage (21. bis 31. Januar) von den TOP-Spielerinnen Anna Musitschuk (Slowenien), Nana Dzagnidze (Georgien), Xue Zhao (China) Marie Sebag (Frankreich), die unverwüstliche Pia Cramling (Schweden), Exweltmeisterin Antoaneta Stefanowa (Bulgarien), Viktoria Cmilyte (Litauen), Harika Dronovalli (Indien), Wenjun Ju (China) Anna Zatonskih (USA), die amtierende Europameisterin Walentina Gunina (Russland) und zur Freude der deutschen Fans auch Elisabeth Pähtz in die Meldeliste eingetragen. Für die Klasse des Teilnehmerfeldes im Masters mit 248 Startern spricht auch, dass jeder fünfte den Großmeisetitel trägt.

 

Was ist der besondere Reiz des Schachfestivals am südlichsten Zipfel Europas? An den Preisgeldern kann es wahrlich nicht liegen, denn am Ende fallen sie in der Regel an die Topspieler – in diesem Jahr sind bei den Männer mit Wassili Iwantschuk, Gata Kamsky, Michael Adams, Radoslaw Wojtaszek, Maxime Vachier-Lagrave, David Navara, Alexej Schirow und Quang Liem Le acht 2700er- Schachschwergewichte dabei.

 

Vielleicht ist es das ungewöhnliche Ambiente, denn es gibt kein Turnier auf der Welt, wo „die Teilnehmer ohne vom Brett aufstehen zu müssen – gleichzeitig zwei Kontinente erblicken können“, wie ich im in einem Turnierbericht von 2010 im SCHACH MAGAZIN 64 lesen kann, der unter der Schlagzeile „Schach auf dem Affenfelsen“ erschien (Heft 3/2011, Seiten 22-25).

 

Und weiter: „ Gespielt und gewohnt wird im Hotel Caleta, das zur Telecom-Gruppe in Gibraltar gehört. Es liegt an der Ostküste vor dem gewaltigen Felsen, dem Wahrzeichen Gibraltars, wo die einzigen frei lebenden Affen Europas herumwieseln und dadurch dem besagten Riesenbrocken den Namen Affenfelsen gaben. Bei gutem Wetter erblickt man tagsüber die schneebedeckten Gipfel der spanischen Nevada, abends dann die Lichterkette des marokkanischen Tanger. Kurzum, ein besonderer Ort…

 

Dass sich das Open im Turnierkalender Ende Januar etablieren musste, also noch zu einem Zeitpunkt, wo die Schachelite in Wijk aan Zee versammelt ist, hängt damit zusammen, dass seinerzeit der Februar mit anderen Veranstaltungen besetzt war, und es im März in Gibraltar unmöglich ist, einen Spielsaal und ausreichend Hotelbetten zu bekommen. Wie sich zeigt, ist das eine weise Entscheidung gewesen. Hinzu kommt, dass mit Turnierdirektor Stuart Conquest ein Mann die Fäden zieht, der seinen Job bestens versteht. Und das auch, weil er in seiner aktiven Zeit – bereits 1981 gewann der Engländer die Jugend-Weltmeisterschaft U16 – unzählige Kontakte geknüpft hat und außerdem mehrere Sprachen spricht.

 

Erfolgreichster Spieler beim Gibraltar Schachfestival ist übrigens Nigel Short (Foto aus 2012) mit drei ersten Plätzen. Klar ist, dass der inzwischen 47-Jährige seinen „Titel“ vom Vorjahr erneut verteidigen möchte. Erneut Turniersieger will sicher auch Wassili Iwantschuk werden. Für den Ukrainer ist das gewissermaßen die Generalprobe für das Kandidatenturnier in London (13.-31. März), und er hält mit 9/10, die er 2011 erreichte – Platz 2 belegte hinter ihm Nigel Short – auch den Punkterekord beim Masters.

 

Dass es neben dem Open auch nach zahlreiche verschiedene Turniere gibt, sei schließlich auch noch erwähnt. Vor zwei Jahren gab es fünfrundige „Challengers A“ (bis Elo 2250) und „Challengers B“ sowie „Amateur A“ und „Amateur B“. Auch hier waren lockten attraktive Preise. Und zum Marathon-Schach in Gibraltar gehören selbstverständlich die abendlichen Blitzturniere. Laut Veranstalter waren Spieler aus mehr als 50 Nationen dabei, die sich von „Schach satt“ verzaubern ließen.

 

Beim Abschlussbankett des *****-Turniers 2011 hatte Stuart Conquest „nicht zufällig seine Festrede mit einem zitierten Zeitungsartikel von 1969 eingeleitet: Damals hatten Yoko Ono und John Lennon ebenfalls Gibraltar angeflogen, allerdings nur für eine hastige 20-minütige Heiratszeremonie. Gibraltar ist halt schon immer ‚very special’ gewesen und wird es immer sein“, so noch einmal ein Zitat aus der erwähnten Ausgabe des SCHACH-MAGAZINS 64.

 

Raymund Stolze

 

Hier noch eine Partie aus dem Jahr 2011, wo Viktor Korchnoi den jungen Italiener Fabiano Caruana in der 2. Runde ganz schön alt aussehen ließ.

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